Violeta Dinescu: Leben in einem totalitären System

In unserer Vortragsreihe „Starke Vorbilder – starke Kinder“ war am Abend des 25. Februar 2014 die an der Universität Oldenburg lehrende rumänische Komponistin Violeta Dinescu am Kurpfalz-Internat zu Gast. In ihrem gut einstündigen Vortrag gab die 1953 in Bukarest geborene und mit zahlreichen internationalen Preisen und Ehrungen ausgezeichnete Tonkünstlerin unseren ungefähr 40 Schülern der Klassen 10 und K+ einen Einblick in ihre Kindheit und  Jugend in einem Land, welches extrem unter der Gewaltherrschaft eines kommunistischen Systems zu leiden hatte.

Wie kann man in einem Land, in welchem dein ganzes Leben, dein persönlicher und beruflicher Werdegang von einer totalitären Ideologie geplant und überwacht und jeder „Fehltritt“ unbarmherzig bestraft wird, trotzdem Mensch bleiben, Widerstände überwinden, seinen eigenen Weg gehen? Frau Dinescu erzählte in ihrer emotionalen, warmherzigen und den Schülern sehr zugewandten Vortragsweise zum Beispiel vom „Abenteuer Schlangestehen“ nach einer Lieferung Toilettenpapier oder von dem unbehaglichen Gefühl, sich abends während der nächtlichen Stromsperre durch das dunkle Bukarest und angesichts eines frei herumlaufenden Mädchenmörders auf den Weg nach Hause machen zu müssen… Dass es außerhalb des kommunistischen Rumäniens der 70-er und 80-er Jahre auch noch ganz andere, freiere Lebensumstände gab, erfuhr man aber zum Beispiel beim heimlichen Hören des Senders „Radio Free Europe“ – natürlich nur im stillen Kämmerlein und zur Sicherheit unter der Bettdecke!

Auch die Entscheidung über den eigenen beruflichen Werdegang war für die jugendliche Violeta Dinescu ein Spagat zwischen Gehorsam – Vater Dinescu hatte seine Musik liebende Tochter zum Besuch eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums gezwungen – und Aufstand – Violeta hatte nicht wie von ihr erwartet, eine Karriere in einem naturwissenschaftlichen Fach begonnen, sondern als Jahrgangsbeste und mit Bravour die Aufnahmeprüfung am Bukarester Konservatorium Ciprian Porumbescu abgelegt.

Sehr aufmerksam registrierten unsere Schüler auch Frau Dinescus Ausführungen zu Lernpensum und Disziplin an rumänischen Schulen und Universitäten. Sowohl die Schülerin als auch die Studentin Violeta musste zum Teil bis an den Rand der völligen körperlichen Erschöpfung lernen – Widerrede war zwecklos, an Widerstand war gar nicht zu denken! Einerseits beschrieb Frau Dinescu das exzessive Lernen zum Beispiel der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer als sehr hart, aber im Nachhinein durchaus auch als gewinnbringend. Andererseits waren viele Aufgaben, die es am Konservatorium zu lösen galt, in ihrer Masse reine Schikane – das sozialistische System hoffte, die jungen Leute durch „Arbeitstherapie“ von allzu klassenfeindlich-kapitalistischen Gedanken abhalten zu können…

 

Wie steht es um meine Freiheiten und Möglichkeiten als Schüler im Deutschland der Gegenwart verglichen zu den Schülern in einem totalitären System? Was darf, kann und muss ich als Schüler heute im Vergleich zu damals selber entscheiden, was entscheiden meine Eltern oder meine Lehrer immer noch für mich? Aber auch: Ist es nicht toll, dass wir immer mit ausreichend Toilettenpapier versorgt sind, und sollten wir nicht ein klein wenig dankbar dafür sein, dass wir immer und jederzeit Strom aus der Steckdose  (z.B. für das Funktionieren unserer überlebensnotwendigen Smartphones) bekommen? Zu solch elementaren Fragen und Problemen hat Frau Dinescu in ihrem Vortrag unseren Schülern ehrliche und emotionale Antworten oder auch unerwartete und teilweise erschütternde Denkanstöße gegeben!

Leider blieb Frau Dinescu am Schluss ihres mit lang anhaltendem Applaus bedachten Vortrages keine Zeit mehr, den Schülern von ihrem Neuanfang in Deutschland oder auch von ihrer faszinierenden Arbeit als Komponistin zu erzählen. Gerne wäre sie noch auf das Thema „Liebe und Tradition“ am Beispiel der von ihr komponierten Filmmusik zu Friedrich Wilhelm Murnaus Stimmfilm „Tabu“ eingegangen. Aber vielleicht gibt’s dazu ja noch Gelegenheit – die Schülerkommentare nach dem Vortrag („Kann wiederkommen!“ – „Ihr hätte ich gerne noch länger zugehört! “ – „… war mindestens so interessant wie Fußball!“) lassen jedenfalls vermuten, dass Frau Dinescu am KPI erneut willkommen wäre.

Guido Elberfeld