Um eine recht eigenwillige Interpretation von Hermann Hesses 1927 erschienenem und vom Mannheimer Ensemble als Bühnenstück adaptiertem Roman „Der Steppenwolf“ kennenzulernen, besuchten Schüler und Schülerinnen der K1, die für die Abiturprüfung Deutsch als Leistungsfach gewählt haben, am Dienstag, den 21. Januar 2020 das Nationaltheater Mannheim. Hier werden alljährlich im Rahmen der sog. „Schule der praktischen Weisheit“ die im Abitur relevanten Prüfungslektüren auf höchst eindrückliche Art und Weise auf die Bühne und damit den zukünftigen Prüflingen nähergebracht. Ein überaus brillant referierter Vortrag von Prof. Dr. Thomas Wortmann (Universität Mannheim, Lehrstuhl für Neuere Germanistik) bildete den Auftakt für die nachfolgende Vorstellung und führte die jungen Zuschauer gekonnt in Hermann Hesses Werk und dessen Rezeptionsgeschichte ein.

Die innere Zerrissenheit Harry Hallers, des in seiner Lebensmitte angelangten Protagonisten, wird in der Mannheimer Inszenierung als Introspektion des Helden gezeigt. Ein überdimensionales Gehirn dient als Bühnenbild, in dessen unterschiedlichen Arealen sich die vier Schauspieler tummeln. Allesamt repräsentieren sie Facetten von Hallers Persönlichkeit, die in ständigem Widerstreit einen innerpsychischen Reifungsprozess darstellen.

Dieser psychologische Interpretationsansatz bleibt aber mitnichten akademisch blutleer, sondern wartet auf mit einer eindrucksvollen Klangkulisse verbunden mit unterhaltsamen Gesangseinlagen, die auf Humor und Provokation setzen. Reich an visuellen Überraschungseffekten, Einbeziehung des Publikums und durchsetzt von ironischen Kommentaren, die dem Ego-Trip des Protagonisten gelten, bietet diese pointierte Auslegung der Romanhandlung reichlich Gelegenheit, die Jugendlichen für Hesses Beschäftigung mit seiner ihn persönlich betreffenden Midlife-Crisis und der damit verbundenen Gesellschaftskritik zu interessieren. Die solchermaßen aktualisierte und gestraffte Bühnenfassung des besonders in den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts gefeierten Romans, der damals geradezu Kultstatus im Umfeld der sog. Blumenkinder und 68-Generation erlangt hatte, bedient heute ein gewandeltes Publikum und das auf anregende und oft mehr als provokante Art und Weise. Manch einem jungen Zuschauer blieb angesichts dieser aus dem Rahmen fallenden Interpretation des Mannheimer Ensembles an einigen Stellen der Aufführung schier der Mund offenstehen und es gab Kommentare wie: „Echt krass, Mann!“ oder „Wie übertrieben!“ bis hin zu „Hab ich nicht ganz kapiert, da müssen wir nochmals drüber reden!“

Auf eine eingehende Behandlung und anregende Gespräche über Harry Hallers Wege der Selbstsuche und -findung dürfen Lehrer und Schüler angesichts dieser interessanten Anregung auf jeden Fall gespannt sein.